Die Abenteuer des Föderationsraumschiffs Endeavour im Syl-System, ab Sylzeit 01.01.01.



"Na, dann. Berichten sie." seufzte Captain Douglas. Die vergangenen Stunden waren von seinen Offizieren genutzt worden, um sich einen detaillierten Überblick über die Lage zu verschaffen. Sie hatten sich zu diesem Zweck - noch immer schwebend - im Konferenzraum der Endeavor eingefunden. Douglas blickte seine Abschnittsleiter erwartungsvoll an und nickte dann Chefingenieur Schott zu. Dieser räusperte sich.

"Um es kurz zu machen, das Schiff ist bis auf weiteres inoperabel. Sämtliche auf Subraumbasis arbeitenden Geräte funktionieren aus unbekanntem Grund nicht mehr. Darüber hinaus hat die Antimaterieexplosion unseres abgeworfenen Kerns uns oberflächliche Schäden zugefügt, aber das fällt kaum ins Gewicht."

"Welche Systeme genau sind von dem unerklärlichen Ausfall betroffen?" wollte der Captain wissen. Schott wirkte etwas verduzt, dann antwortete er: "Wie schon gesagt, alles, was auf Subraumtechnik basiert. Das betrifft insbesondere den Überlichtantrieb, die Impulsverstärker, die Schilde, den Hauptcomputer, die Transporter, die Antimaterieeindämmung - daher die Explosion -, sämtliche Kraftfelder und damit auch die Fusionsreaktoren, die künstliche Schwerkraft, die Waffen..."

"Machen wir's kürzer." seufzte der Captain. "Was funktioniert denn noch?"

"Wir haben noch die Notbatterien, die zwar mit verminderter Leistung arbeiten und mehr Hitze abgeben als sonst, uns aber immerhin Strom für die Lebenserhaltung, die Sensoren und alle übrigen Systeme liefern. Außerdem haben wir noch die chemischen Notmanöverdüsen, deren ausgefallene Subraumverstärker sie allerdings mit äusserst begrenzter Dauer laufen lassen dürften. Die Lebenserhaltung funktioniert im Wesentlichen, jedoch werden wir wohl bis auf weiteres auf Notrationen zurückgreifen müssen - die Speiseautomaten sind natürlich ebenfalls nicht funktionsfähig."

"Die Manöverdüsen... könnten wir diese benutzen, um uns zumindest langsam zu bewegen?"

"Theoretisch schon...aber mit deutlich niedrigerem Delta-Vau als bisher."

"Wie schnell und für wie lange?"

"Hm. Wenn wir sie mit Sauerstoff und Wasserstoff versorgen können, könnten wir vielleicht... hm. Nicht mehr als ein oder zwei Meter pro Sekundenquadrat erreichen, für ein bis zwei Minuten. Danach wären sie allerdings leer und müssten aufgefüllt werden..."

Der Captain stöhnte auf. "Na großartig. Wir sind also nicht fußlahm, sondern querschnittsgelähmt."

"Sozusagen."

"Hm. Wie sieht es mit unserer Umgebung aus? Shaka? "

Lieutenant Shaka, der Navigationsoffizier, räusperte sich. "Wir befinden uns in einem Sonnensystem, das aufgrund der stellaren und planetaren Umgebung eigentlich nur Sol sein kann. Jedoch fehlen sämtliche terrestrischen Planeten und Monde. Stattdessen... "

"Wie bitte? Sie fehlen?"

"Ja, Sir. Das Sonnensystem, in dem wir uns befinden, weist lediglich einige Gasriesen auf, die denen des Solsystems verblüffend ähneln. Jedoch sind sowohl deren Monde als auch die Planeten Merkur, Venus, Erde und Mars nicht da. Stattdessen haben wir eine enorme Anzahl von Asteroiden und metallischen Objekten auf vielen verschiedenen Umlaufbahnen um die Sonne geortet, von denen einige künstlichen Ursprungs sein könnten..."

"Raumstationen?" fragte Douglas.

"Aeh, exakt Sir, das vermuten wir, zumindest bei den größeren Objekten. Die kleineren scheinen meistenteils Raumschiffe zu sein... aber dazu kann Unturu mehr sagen, Sir."

"Wie weit sind wir von der nächstgelegenen dieser mutmaßlichen Raumstationen entfernt?"

"Etwa dreihunderttausend Kilomenter, Sir. Sie scheint sich auf einer Umlaufbahn um den Stern dieses Systems zu befinden, der in etwa identisch ist mit der unseren. Die Distanz dürfte sich also auf absehbare Zeit kaum ändern."

Douglas wandte sich an Unturu. "Wie sieht es mit dem Radioverkehr aus? Was ergibt die Auswertung, mal abgesehen von dem sogenannten 'Sternenzerstörer' mit seinem nicht weniger größenwahnsinnigen Captain?"

Alle lachten. Unturu räusperte sich schließlich und begann. "Wir haben eine erstaunlich hohe Anzahl von verschiedenen Signalen im System ausgemacht. Viele davon sind in einer uns bekannten Sprache wie Standard oder alten irdischen Sprachen. Mindestens drei scheinen von Schiffen unserer eigenen Raumflotte zu stammen, diese sind jedoch einige Lichtstunden entfernt und wir haben noch keinen echten zweiseitigen Kontakt. Der Ausfall des Subraumfunkts behindert uns enorm." Sie warf Schott einen leicht vorwurfsvollen Blick zu, der nur hilflos mit den Schultern zuckte. Unturu fuhr fort. "Der Versuch, mit einer der Raumstationen in Kontakt zu treten, scheiterte bislang."

Douglas schwebte über dem Konferenztisch, hielt sich an den Lehnen seines Stuhles fest und blickte zu seinem Ersten Offizier. "Hypothesen?"

"Captain, offensichtlich befinden wir uns in einer subraumfreien Zone. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass wir von der Subraumanomalie in ein anderes Universum transferiert wurden. Hier gelten offensichtlich andere Naturgesetze, und ganz offensichtlich ist das Solsystem in diesem Universum anders strukturiert als bei uns."

"Könnten Sie einen Weg ersinnen, wie wir wieder nach Hause kommen?"

"Das halte ich für schwer machbar. Eine Subraumanomalie wie die, die uns herbrachte, wird es hier mangels Subraum nicht geben können. Der Versuch, auf dem Umweg einer Zeitreise in unser Ursprungsuniversum zu gelangen, wird ebenfalls scheitern, da das Zeitfeld auf Subraumtechnik beruht." Der Erste Offizier machte eine kurze Pause. "So wie es aussieht, Sir, sind wir hier gestrandet. Ich sehe nicht, was wir zum jetzigen Zeitpunkt tun könnten."

"Verdammt." murmelte der Captain. Er vergrub die Hände im Gesicht, doch nach zwei Herzschlägen richtete er sich wieder auf, hielt sich mit beiden Händen an den Armlehnen fest, um nicht davon zu schweben, und sein Gesicht nahm einen grimmigen Ausdruck an. Dann sagte er: "Also schön. Schottie, wir brauchen irgendeinen Antrieb, der ein bisschen länger hält als als ein oder zwei Minuten. Egal was, nur funktionieren muss es. Wir müssen versuchen, uns eine dieser Raumstationen näher anzusehen. Vielleicht können uns die Bewohner weiterhelfen. Und außerdem werden wir irgendwann neue Nahrungsmittel brauchen. Alle anderen sammeln weiter Informationen über die Lage. Wir halten alle zwölf Stunden eine Besprechung ab.

Doktor O'Neill, der Schiffsarzt, räusperte sich. "Wenn dieser Zustand länger anhält, werden wir noch ein anderes Problem lösen müssen..."

"Welches?"

"Ohne Schwerkraft werden unsere Knochen und Muskeln recht rasch atrophieren. Dagegen müssen wir was tun."

"Was schlägst Du vor?"

Der Doktor lächelte. "Eine Stunde Fitnessübungen. Jeden Tag." Das Lächeln wurde breiter. "Ich arbeite ein Programm dafür aus."



"Chemische Raketen." sagte Schott drei Stunden später zum Captain.

"Bitte was?" wollte Douglas wissen, der auf der Brücke den letzten Bericht von Unturus Abteilung über die verschiedenen identifizierten Schiffe im System durchgegangen war. Hier waren Raumschiffe, die es zum Teil gar nicht geben durfte. Offenbar waren aus den unterschiedlichsten Universen Raumschiffe hierherversetzt worden - in manchen war die Föderation nie gegründet worden, in anderen gab es ganz andere Fremdspezies als in Douglas' Heimatuniversum, und in allen schienen sich die Naturgesetze geringfügung zu unterscheiden. Mit den anderen beiden Föderationscaptains hatte er inzwischen einige Nachrichten austauschen können. Eins der anderen Schiffe hatte einen Zeitindex genannt, der hundert Jahre in der Zukunft lag.

Schott räusperte sich. "Chemische Raketen, Sir. Wir könnten chemische Triebwerke bauen, die wir mit den Flüssiggasvorräten der Lebenserhaltung antreiben. Damit erzielen wir zumindest einen guten spezifischen Impuls und vernünftige Schubwerte."

Der Captain räusperte sich. Er hätte vielleicht fragen sollen, von wie viel Delta-Vau die Rede war, aber er hatte beinahe Angst vor der Antwort, und ausrechnen konnte er es sich sowieso selber. „Wie lange wird das dauern?“

„Ahem, nun ja... da wir auf alle gewohnten Werkzeuge werden verzichten müssen, soweit sie auf Subraumbasis arbeiten, kann ich das schwer abschätzen. Sicher aber einige Wochen oder Monate.“

Der Captain seufzte, riss sich dann aber zusammen und sagte gezwungen lächelnd: "Klingt gut, machen sie es so." Natürlich hiess das, dass sie nicht in absehbarer Zeit die fremde Station mit Thermalraketen würden erreichen können, wie er ursprünglich erhofft hatte... „Mister Shaka! Plotten sie einen Kurs zu der fremden Station. Mit den Manöverdüsen, und nutzen Sie nicht mehr als ein Viertel unseres Delta-V.“

„Aye, Sir... grob geschätzt werden wir für die dreihunderttausend Kilometer unter diesen Bedingungen etwa... fünfzehn Tage brauchen, Sir.“

„Tatsächlich.“ Douglas seufzte erneut. „Früher hätten wir in der Zeit die ganze Föderation durchquert.“

Der erste Offizier hob eine Augenbraue. „Allerdings wäre uns, abgesehen von der Schwerkraft, kein Unterschied zu jetzt aufgefallen. Wir starten, warten bis wir da sind, halten an und befinden uns am Ort des Geschehens. Abgesehen von den Zahlen hat sich eigentlich nichts geändert.“

„Tja, so kann man das auch sehen.“ antwortete der Captain säuerlich.





Tage vergingen. Schott und sein Abschnitt arbeiteten auf Hochtouren, und die gesamte Besatzung ging ihm zur Hand. Mit Hilfe der Flüssiggasvorräte der Lebenserhaltung und einigen Ersatzteilen wurden einfache Raketen gebaut. Statt der vom Doktor angedrohten Fitnessübungen wurde die Endeavour in eine Rotation über die Querachse versetzt - damit war nun vorn und achtern "unten", und in der Mitte des Schiffes "oben", mit einer Zone der Schwerelosigkeit auf der Höhe der vorderen Verzerrergondeln und des Übergangs vom Primär- zum Sekundärrumpf. Durch diese primitive künstliche Schwerkraft blieb die Besatzung halbwegs gesund, auch wenn sie einfache Umbauten an den Quartieren und vielen Arbeitsbereichen des Schiffes erforderlich machte. Die Notrationen wurden stetig weniger, doch für einige Wochen würden sie überleben können.

Douglas und die Brückenoffiziere machten sich ein Bild von dem Ort, an den es sie verschlagen hatte: Es war ein Sonnensystem mit drei Gasriesen und einer Unmenge an Asteroiden, jedoch ohne terrestrische Planeten. Überall zwischen den Asteroiden trieben Tausende von Raumschiffen aus den unterschiedlichsten Universen, von denen die meisten in ähnlichen Schwierigkeiten waren wie die Endeavour, manche in weiter schlimmeren. Viele waren ungefähr zu dem Zeitpunkt in das neue System versetzt worden wie die Endeavour, doch hatte es mindestens zwei Fälle von „Nachzüglern“ gegeben. Mindestens ein Dutzend Schiffe hatten inzwischen Todesfälle an Bord, aufgrund der schlechten Versorgungslage. Einige wenige Schiffe stammten aus eher primitiven Universen, und diese konnten sich in begrenztem Umfang weiter bewegen, doch war auch ihre Reichweite begrenzt.
Die überraschendste Entdeckung waren jedoch die Raumstationen. Tausende davon gab es im gesamten System, die meisten davon näher am Stern als die Endeavour. Nach den Teleskopaufnahmen und dem Funkverkehr zu urteilen, den einige der bewegungsfähigen Primitivraumschiffe auf Radiofrequnzen aussandten, handelte es sich bei diesen Stationen um gewaltige O'Neill-Cylinder von vielen Kilometern Länge. Sie schienen nicht bewohnt zu sein – einige gaben zwar automatische Peil- und Steuersignale von sich, aber es gab keinerlei Reaktion auf Versuche, die Stationen anzfunken.

In unmittelbarer Nachbarschaft der Endeavour, das heisst, in bis zu dreihunderttausend Kilometern Distanz, befanden sich die merkwürdigsten Nachbarn: Neben einer gewaltigen O'Neill-Station von etwa hundert Kilometern Länge und einem Zylinderdurchmesser von zwanzig Kilometern und dem schon erwähnten „Sternenzerstörer“ Protector war ein riesiges kugelförmiges Schiff, das sich als ein Entdecker (was immer das genau war) der Liga Freier Terraner identifizierte und einen Durchmesser von fast zwei Kilometern aufwies. Sein Captain, ein Mensch namens Julian DeSoto, schien ein vernünftiger Mann zu sein, mit dem man sich einigen konnte. Weiterhin war ein „Basisstern“ des „Zylonenimperiums“ auf einer nahen Umlaufbahn um den Stern, ebenfalls ein gewaltiges Objekt, und es schien ausschließlich von Maschinen (die allerdings verdächtig nach Menschen in seltsamen Anzügen aussahen) bemannt zu sein. Dieser „Basisstern“ hatte allerdings offenbar einen chemischen Antrieb und war damit durchaus einigermaßen beweglich. Es trieb derzeit langsam auf die O'Neill-Station zu, offenbar in der Absicht, Stützmasse zu sparen und dennoch ans Ziel zu gelangen. Neben diesen Giganten gab es auch einige Dutzend kleinerer Objekte, von denen die meisten völlig handlungsunfähig waren, eine Handvoll jedoch durchaus in der Lage war, unter den gegebenen Bedingungen zu manövrieren, manche davon deutlich besser als die Endeavour. Captain Douglas und seine Mannschaft würden die unbekannte Raumstation nicht als Erste erreichen, soviel stand bereits fest.



Captain Reynold Malcolms flog sein Schiff selbst, wie so oft seit Spülis Tod auf dem Mond von Herrn Kosmos im letzten Jahr. Vieles war seit dem passiert... aber die Ereignisse der letzten Wochen schlugen dem Fass den Boden aus. In ein fremdes Universum versetzt, der Antrieb der Serendipity offenbar dadurch regelrecht verkrüppelt... und nun eine dreitägige Reise zu der fremden Raumstation, an die er in wenigen Minuten andocken wollte: Ein gewaltiger Zylinder, hundert Kilometer lang und zwanzig Kilometer im Durchmesser. Die Außenfläche mit einer Art Solarzellen bepflastert, und das ganze Ding rotierte um die eigene Längsachse. Kaytie hatte gesagt, dadurch erzeuge das Ding eine ziemlich starke Schwerkraft, fast wie auf einem terraformierten Mond oder Planeten.

Offenbar konnte man an den beiden flachen Enden des Zylinders tatsächlich andocken, ohne eine Raumanzug für den Einstieg zu benötigen - hunderte Andockschleusen standen zur Verfügung. Nun näherte sich der kleine Frachter einer solchen Luke - aufgrund der Rotation war das Manöver nicht ganz einfach, aber zu schaffen. Als schließlich ein leises, tiefes Rumpeln signalisierte, dass die Serendipity angedockt war, stand Reynold auf und begab sich zu den anderen in die Luftschleuse.

Sue und Jamie standen bereits mit fertiggeladenen Waffen bereit. Jamie grinste. "Ich weiss, keine Granaten." sagte er nur. Reynold nickte. "Na, dann schauen wir uns das mal an. Wir sind von allen gestrandeten Schiffen die Ersten hier, da dürfte noch einiges an Beute vorhanden sein. Wir brauchen am meisten: Essen, Treibstoff, Edelmetalle. Aber macht nichts kaputt, wenn es sich vermeiden lässt." Sue öffnete die Tür der Schleuse, und sie traten hindurch.

Kaum hatte Reynold die Station betreten, ertönte eine Stimme in einer unbekannten Sprache. Sie klang auffordernd. Sue deutete auf einen Bildschirm, auf dem mehrere Buttons, offenbar zum Anwählen, gezeigt wurden. Auf einem davon stand "Standard". Reynold trat näher heran und legte den Daumen vorsichtig auf diese Schlatfläche des Bildschirms. Die Stimme wechselte unverzüglich die Sprache.

"Willkommen, glücklicher Gewinner! Herzlichen Glückwunsch. Sie haben diese Station als erste erreicht und sind damit rechtmäßiger Eigentümer!" Malcolms und Sue tauschten einen erstaunten Blick. "Näheres zu Ihrer neuen Immobilie erfahren Sie, sobald sie am Terminal Ihren Kommandocode festgelegt haben."